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Musik JOKER

22nd July 1979

Millionen lieben ihre Platten. Ein Grund zum Jubeln? Nicht für

Blondies Debby Harry

“Der Erfolg macht mich krank”
Von Jamie James
NEW YORK

Mit zwölf Jahren gab Debbie Harry ihr Debüt als Sängerin. Mit zweiunddreißig schaffte sie den Durchbruch. “Früh genug”, sagt ihre Mama. Wehmütig denkt Cathrine Harry an das letzte Weihnachtsfest: “Zum erstenmal war Debbie nicht bei uns. Sie befand sich auf einer Australien-Tournee. Sie bekam schreckliche Depressionen. ‘Das mach’ ich nie wieder’, versprach sie mir hinterher. Debbie ist eine wunderbare Tochter.”
Stolz berichtet Mrs. Harry, wohnhaft in Cooperstown (New York), daß Debbie schon als Baby eine Schönheit war. “In der Schule umschmeichelte sie stets eine Korona von Verehrern, und man schickte bei jedem Schönheitswettbewerb nach ihr – doch ich ließ sie nicht gehen. Ich wollte nicht, daß sie ausgebeutet wird.”
Heute stellt sich Deborah Harry (34) selbst zur Schau. Sie ist Amerikas begehrtestes Rock ‘n’ Roll-Pin-up-girl. Man nennt sie die Marylin Monroe des Rock. Sie ist der Star von Blondie, einer New Wave-Band aus New York, die sich 1975 im brodelnden New Yorker Untergrund zusammenraufte. Ihr weiblicher Gegenpart in New York war die Lyrikerin und Rocksängerin Patti Smith, die stets in vergammelten PennerKlamotten auftrat. Schmutzig war “in”.
Doch Debbie widerstand der Mode und griff zu Minirock und hochhackigen Pumps. Ein perfektes Image für ihre Musik: griffige Melodien, im Stil der 60er Jahre arrangiert, stets sehr geschmackvoll. Einmal trat Debbie in einem weißen Kaufhaus-Brautkleid vor ihr Publikum und höhnte: “Meine Mutter wünschte immer, daß ich dieses Kleid einmal trage.”
In der Kleiderfrage ist die Plattenmillionärin heute selbst Trendsetter. “Ich habe den Second-hand-Look abgeschafft”, erklärt sie hochmütig, “ich habe das nicht mehr nötig. Ich kann mir teure Kleider kaufen oder schneidern lassen.”
Heute, bei unserem Gespräch im Power Station Recording Studio in New York, trägt die Schöne enge roten Hosen, hochhackige rote Schuhe und eine bestickte Bluse, in der sie kindlich und naiv aussieht. Sie hat ihren eigenen Stil entwickelt, die Tochter eines Geschäftsmannes aus dem Mode-Distrikt von Manhattan.
Zehn Jahre hat sie dazu gebraucht. Sie wollte ja eigentlich vom Singen leben. Statt dessen lernte sie, in New York zu überleben. Hängte sich an die Scharen, die Popzar Andy Warhol umkreisten, malte und dichtete. Geld verdiente sie als Modell, als Playboy-Häschen und als Kellnerin im berühmten Club Max’s Kansas City. Sie fand ihr Milieu bei einer geschminkten Glitzer-Truppe, den Stilettos. Mit ihrem Gitarristen Chris Stein (29) verbindet sie seither eine romantische Liebe. Chris und Debbie gründeten Blondie. Die Kontrolle haben sie bis heute nicht aus der Hand gegeben.
Debbie lehnt ein Interview ohne die Anwesenheit von Chris Stein ab. Doch der ist mit den Aufnahmen von Blondies neuer LO “Eat The Beat” beschäftigt, die gerade im Power Station Studio entsteht. (Veröffentlichung im September.) Debbie ist unruhig und verwirrt.
Über ihren sensationellen Aufstieg in der Rockszene sagt sie: “Es war einfact großartig. Unsere größte Sorge war, zu überleben. Das inspiriert. Hungrig zu bleiben, ist für jeden Künstler der beste Antrieb.”
Doch jetzt sind sie satt. “Wir sind in einem Übergangsstadium”, meint Debbie grübelnd. “Unser Konzept ist klar definiert, wir haben unseren Markt gefunden. Natürlich bewegen wir uns weiter, aber so, daß sich die Leute noch mit uns identifizieren können.”
Stirnrunzelnd ergänzt sie: “Warum sollten wir nicht eine der größten Rockbands überhaupt werden? Wir haben viel durchgemacht und sind doch nicht auseinandergefallen, weil wir eine starke Beziehung zueinander haben.”
Durch das Fensterglas hinter Debbies Sessel fällt ein Lichtstrahl auf ihr schimmerndes, platinblondes Haar. Ihr Gesicht verändert sich unter meinem Blick. Seltsam: auch auf Fotos sieht sie jedesmal anders aus. Doch tatsächlich ähnelt sie keinem ihrer Glamour-Fotos. Sie ist wohl hübsch, wirkt aber müde, ausgelaugt.
Doch wenigstens redet sie. Anders als bei unserem letzten Treffen in Blondies Übungsraum in New York. Debbie ist schlecht gelaunt und ungnädig. Sie haßt mich, Chris, die ganze Welt. Ich will sie aufmuntern, gratuliere ihr, daß Blondies Single “Heart Of Glass” in Amerika und anderswo Nr. 1 ist. Das macht sie nur noch trübsinniger: “Von wegen! Die Single ist Nr. 2. Sie war nur eine Woche lang vorn!”
Jetzt bricht ein Sturm über mich herein. Entweder wird sie losheulen oder eine Kanone ziehen und mich erschießen. Die Band blickt betreten und stumm zu Boden. Welch ein unglückseliger Haufen.

Blondies Traum entpuppt sich als Alptraum

Später erfahre ich den Grund von Blondies Weltverdrossenheit. Der Erfolg macht sie krank. Blondies Traum von Ruhm und Geld entpuppt sich als Alptraum. “Mit Erfolgen wird man schwerer fertig als mit Mißerfolgen”, erklärt die Sängerin. Und Keyboard-Spieler Jimmy Destri ergänzt: “Geld macht nicht glücklich, und Glück bringt kein Geld.”
Chris Stein ist konkreter: “Das schlimmste am Erfolg ist, daß sich alle Freunde gegen einen wenden. Klingt wie in einem Groschenroman: erst hat man kaum zu essen, dann bekommt man einen schlechten Plattenvertrag, den man nur mit dem Geld, das man inzwischen verdient hat, los wird. Und die Freunde kehren einem den Rükken zu, weil man angeblich in den Klauen des Kommerzes sei. Schrecklich. Genau wie im Film. Wir haben uns eine sehr teure Zwangsjacke zugeleft.”
Offensichtlich beschreibt Chris den Aufstieg seiner Band, der so ablief: Im Frühjahr 1976 hört der bekannte Komponist und Produzent Richard Gottehrer Blondie im New Yorker Punk-Club CBGB’s. Blondie im Look der 60er Jahre und Debbie mit einem entrückten, unterkühlten Gesangsstil aus den 50er Jahren. Gottehrer besorgt Blondie einen Plattenvertrag bei dem kleinen New Yorker Plattenlabel Private Stock. Für ihre erste Singel “X Offender” ist die Zeit noch nicht reif am Vorabend der New Wave-Bewegung. Doch die Saat keimt, als Blondie 1977 mit David Bowie und Iggy Pop auf US-Tournee geht. Bowie ist übrigens von jeher das Idol der Blondie-Mannschaft. Für alle war die Begegnung mit dem exzentrischen Superstar der Höhepunkt ihrer Karriere.
Ihre erste LP, “Plastic Letters”, wird eingesoielt. Gottehrer eröffnet der Gruppe, daß er sie nicht mehr managen will. Er wolle sich voll auf einen anderen Künstler – Rock ‘n’ Roll-Sänger Robert Gordon – konzentrieren. Er übergibt Peter Leeds die Zügel. Und gräbt sich damit selbst das Grab.
Als erstes bescheinigt Leed dem Plattenlabel Unfähigkeit. Für 800 000 Mark kauft er die Rechte zurück, Gottehrer wird mit 200 000 Mark abgefunden. “Wo in der Geschichte der Rockmusik hat jemand 1 Million für eine Band hingelegt, die gerade 14 Platten verkauft hat?” brüstet sich Leeds. Der Manager schickt Blondie auf Welttournee. Die neue Plattenfirma Chrysalis, deren Standbein bisher Jethro Tull ist, hofft und investiert. Chrysalis-Boß Terry Ellis bestellt den Engländer Mike Chapman zum neuen Produzenten der zweiten LP “Parallel Lines”. Die Platte macht Blondie zu Superstars in Amerika, Australien, Europa und Japan. Die Wände sind mit Platin und Gold gepflastert.
Doch Blondie schickt den Mann, der sie großmachte, in die Wüste. Mit Anwalt und Gericht vollziehen sie jetzt die Trennung von Peter Leeds. Nun weist Produzent Mike Chapman, für Blondie eine Vaterfigur, die Richtung.
Debbie Harry ist zutiefst enttäuscht vom Geschäftsleben. Noch mehr haßt die einst so fröhliche Schönheitskönigin aus New Jersey aber die Presse. Stein erklärt: “Früher redete sie frank und frei. Doch ihre Zitate sind so oft entstellt worden, daß sie lieber den Mund hält.”

“Auf der neuen LP sind eine Menge Hits”

Debbie steigert sich schnell in Panikstimmung. Bei jeder Frage reagiert sie wie Wild beim Geruch von Schießpulver. Nur im Studio herrscht weiterhin Harmonie. Debbie: “Bei der Musik sind wir uns immer einig. Mike Chapman, der freundliche Diktator, grinst breit: “Auf der neuen LP sind eine Menge Hits darauf. Das ist doch ganz einfach. Wir gehen ins Studio und fabrizieren Hits. Wer das nicht kann, soll lieber irgendwo Fleisch hacken.”
Bei den Aufnahmen ist Blondie fröhlich, ja ausgelassen. Elegant werden die vielen kleinen Probleme gelöst. Alle sind sicher, daß die neue LP den Erfolg von “Parallel Lines” noch übertreffen wird. Wie schön: dann werden noch mehr Reporter die sensible Blondine quälen, ihr Konterfei wird noch mehr Titelblätter schmücken – auch das ist ihr im Interesse der Gruppe zuwider. Und sie wird noch reicher und noch ärmer an echten Freunden.
Die Studiotür öffnet sich, ein Roadie schwenkt freudestrahlend den neuesten Billboard: “‘Heart Of Glass’ ist Nr. 1!” Die Musiker verziehen keine Miene. Gewöhnung? Überdruß? Wie singt Debbie so schön in “Heart Of Glass”: “Ich hatte mal eine Liebe / die war ganz toll / doch bald wurde sie zum Alptraum.”
(Bearbeitung: Ingrid Blum)

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